Lichtgedanken 06

S C HW E R P U N K T 18 Leben eines hoffnungslos Kranken be- zeichnete er, unter dem Aspekt, dass es für diesen doch nur Schmerzen und den Angehörigen Sorgen bedeute, als »wert- los«. Dekorative Wissenschaft Zeit seines Lebens war Haeckel ein au- ßerordentlich begabter Zeichner. Seine Abbildungen von Einzellern, Pflanzen und Tieren sind von großer Detailfül- le und Kunstfertigkeit gekennzeichnet und haben zahlreiche Künstler und Architekten vor allem des Jugendstils inspiriert. Haeckel sah Wissenschaft und Kunst immer in enger Verbin- dung. Er suchte in seinen Darstellun- gen von Strahlentierchen, Quallen oder Schwämmen nach universalen Natur- prinzipien und fand sie vor allem in symmetrischen Ordnungen, die seine Zeichnungen, Aquarelle und Lithogra- phien prägen. Das Hauptwerk seiner ästhetischen Naturbetrachtung sind die zwischen 1899 und 1904 erschienenen »Kunstformen der Natur«. Einige der darin veröffentlichten Abbildungen ge- hören heute zum ikonografischen All- gemeingut: seine Desmonema annasethe, benannt nach seiner früh verstorbenen ersten Frau, ziert nicht nur eine Bildtafel der »Kunstformen der Natur«, sondern inzwischen auch millionenfach T-Shirts, Tassen oder Mousepads. Dass die farbenprächtige Darstellung der vor Kapstadt in Südafrika entdeck- ten Qualle nahezu nichts mit dem Origi- nal-Präparat Haeckels zu tun hat, ficht ihre Popularität nicht an. Haeckel woll- te mit seinem Werk »weiten gebildeten Kreisen den Zugang zu den wunderba- ren Schätzen der Schönheit öffnen, die in den Tiefen des Meeres verborgen [...] sind.« Dieses Ziel hat er fraglos erreicht. Wissenschaftlichen Betrachtungen hal- ten seine Darstellungen allerdings in vielen Fällen nicht stand. Nicht nur die Desmonema annasethe (siehe Reportage S. 22), die Haeckel erstmals beschrie- ben hat, gilt heute als Fehlbeschreibung. Auch von den zehn Quallenarten, die als Deckenbemalung den Medusen-Saal des Phyletischen Museums zieren – al- lesamt Haeckelsche Erstbeschreibungen aus den »Kunstformen der Natur« –, sind lediglich drei bis heute gültig. Der Gegenpapst im Jenaer Petersdom Auch wenn Haeckel, keine Konfronta- tion scheuend, die Lehren Darwins in Deutschland populär machte, haben beide Forscher in einem Punkt deutlich unterschiedliche Ansichten vertreten. Während für Darwin die Evolution des Lebens nach dem Zufallsprinzip ver- lief, spielte für Haeckel die Höherent- wicklung eine besondere Rolle. Das Auftreten des Menschen war für ihn das folgerichtige Ergebnis einer unaus- weichlichen Entwicklung, die in organi- scher Materie ihren Ursprung hatte und an dessen Ende der Mensch den Wipfel des Stammbaums der Organismen ein- nahm. Die Evolutionstheorie wurde dabei für Haeckel zur Grundlage einer monisti- schen Weltanschauung, der Naturfor- scher wurde mehr und mehr zu einer Art Religionsstifter. Ab Mitte der 1890er Jahre, Haeckel ist über 60, betätigte er sich immer weniger als Zoologe, ob- wohl er noch bis 1909 an der Universität lehrte. Der Monismus stellte für Haeckel eine Verbindung zwischen Wissenschaft und Religion her. Für ihn existierte kein Geist ohne Materie und ohne Materie kein Geist. Beides sei untrennbar mit- einander verwoben. Als »Ursache aller Dinge«, als »Summe aller Kräfte« stand für ihn ein allmächtiger Gott, der sich »in den gesamten Naturerscheinungen offenbart.« Die Natur selbst war für Tafel aus den »Kunstformen der Natur« (1899 – 1904) zu Seescheiden ( Ascidiacea ). Diese sesshaften marinen Organismen sind sehr artenreich und viel- gestaltig.

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