Lichtgedanken 06

S C HW E R P U N K T 34 Jubiläumsfeiern bergen die Gefahr, Jubilare auf einen Sockel zu stellen. Gehört Ernst Haeckel, dessen Todes- tag sich am 9. August zum 100. Mal jährt, auf einen Sockel? Das hängt davon ab, wie hoch das Po- dest ist. Haeckel ist der berühmteste deutschsprachige Zoologe aller Zeiten – und der wirkte in Jena. Aber der Taxo- nomHaeckel hat auch 500 Medusen neu benannt, die Hälfte davon war bekannt und er hat sie einfach umbenannt. Nur etwa 2 0 Prozent der Namen haben bis heute überdauert, das ist im Vergleich zu anderen Taxonomen sehr wenig. In seinem Heimatfeld der Taxonomie und Systematik ist er nur unterdurchschnitt- lich gut. Bleibt die Frage: Wie hoch muss das Podest für einen Taxonomen sein, der durchaus schludrig gearbeitet hat? Bereits zwei Jahre nach dem Erscheinen seines »Systems der Medusen« hagel- te es vernichtende Kritik von anderen Rassismus hat keine biologische Grundlage tiert außerdem, dass Haeckel relativ we- nig andere Wissenschaftler zitiert, dafür wimmelt es von Selbstzitaten. Und das war auch in seiner Zeit schon anrüchig. Das ist immer noch der Wissen- schaftler. Was ist mit dem Autor der »Lebenswunder«, ein Werk, in dem Haeckel behauptet, das Töten von verkrüppelten Neugeborenen sei kein Mord, sondern eine »nützliche Maßregel«? Grundsätzlich darf man ethische Urtei- le nur in der jeweiligen Zeit treffen und nicht retrospektiv. Haeckel fiel damals mit solchen Überlegungen nicht aus dem Rahmen. Außerdemwar es Teil sei- nes Denkens, zu ordnen: Wenn ich Ein- zeller ordne, Quallen ordne, das Tier- und Pflanzenreich ordne, dann ordne ich alles – auch Menschen. Auch beim Menschen suchte er Merkmale, um Einheiten gegeneinander abzugrenzen. Da gibt es bei Haeckel beispielsweise die Einteilung des Menschen nach der Haarstruktur: Es gibt die Glatthaarigen, die Kraushaarigen, die Wollhaarigen usw. Daraus leitete er Unterschiede ab, aus einem einzigen Merkmal – das ist völlig absurd. Er stellte die immer glei- che Frage: Was sind die hochentwickel- ten Schnecken, Würmer und Menschen? Beim Menschen fehlte ihm die Einsicht, dass er sich selbst hätte Einhalt gebieten müssen. Aber es ist der Rassismus seit Mitte des 19. Jahrhunderts, der diese Klassifikation nach unterschiedlichen Merkmalen gemacht hat. Haeckel ist also Klassifizierer und nicht Rassist? Der Rassismus braucht keine natur- wissenschaftliche Grundlage. Heutige Rassisten haben moralische oder ethi- sche oder sonstige Beweggründe. Der biologisch begründete Rassismus ist be- sonders gefährlich, weil er vorgibt, sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu Zoologen. Daher war es wohl kein Zu- fall, dass Haeckel bald darauf aus der Zoologie ausstieg. Im Alter von 50 hört er auf, Zoologe zu sein. Was wurde er dann? Selbsternannter Philosoph, Religions- stifter und Welterklärer. In seinem Buch »Welträtsel« erklärt er die Welt auf relativ wenig Seiten. Der Anspruch, Welterklärer für alle Belange zu sein, ist schon ziemlich vermessen. Die gro- ßen Wissenschaftler haben so etwas nie versucht. Aus dem Wissenschaftler Haeckel wurde ein hoch sendungsbe- wusster Weltverbesserer, einer, der die Weisheit mit Löffeln gegessen hat. »Sein Lesen und sein Denken […] ist von einer solchen Oberflächlichkeit, daß er com- plicierte Gedankengänge […] niemals erfaßt«, schreibt schon der zunächst ergebene und dann kritische Schüler Hans Driesch über Haeckel. Und es irri- Der Evolutionsbiologe Prof. Dr. Dr. h. c. Martin S. Fischer spricht im Interview über den ambivalenten Wissen- schaftler Ernst Haeckel und die besondere Verantwortung der Universität Jena, sich gegen Rassismus zu positionieren. Für die anstehende Jahrestagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft, die im September in Jena stattfindet, kündigt er eine Jenaer Erklärung wider biologisch begründeten Rassismus an. INTERVIEW: AXEL BURCHARDT

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