Lichtgedanken 03

S C HW E R P U N K T 22 Sepsis ist weltweit Todesursache Nr. 1 unter infektionsbedingten Erkrankungen. Selbst wer sie überlebt, ist weit davon entfernt, wieder gesund zu sein. Erhebliche körperliche Beeinträchtigungen sind meistens die Folge. Auch psychisch kann ein Aufenthalt auf der Intensivstation das Leben verändern – sowohl das des Patienten als auch das des Partners. Nicht selten hilft nur eine Therapie, um das Erlebte zu überwin- den. Den Weg dahin räumlich wie emotional zu erleichtern, ist das Ziel eines Projekts am Center for Sep- sis Control and Care (CSCC), das eine internetbasierte Schreibtherapie für Paare anbietet. Eine begleiten- de Studie überprüft die Wirksamkeit des Angebots mit dem Titel »zwei leben« (www.zweileben.net ). Ein Gespräch mit den beteiligten Jenaer Psychologinnen PD Dr. Jenny Rosendahl, Projektleiterin, und Romina Gawlytta, Projektkoordinatorin. »Wir bringen die Therapie zum Patienten« INTERVIEW: JULIANE DÖLITZSCH In Jena wird intensiv zum Thema Sep- sis geforscht. Ihr Projekt ist im Februar 2017 gestartet. Was ist der Ansatz? Rosendahl: Wir beschäftigen uns im Rahmen unserer Forschung am CSCC mit den psychischen Langzeitfolgen von Sepsisüberlebenden. Dazu zählen Ängste, Depressionen, Anpassungsstö- rungen und auch die posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS genannt. Diese kann als eine psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis, also ein Trauma, auftreten. Ein Trauma kann zum Beispiel ein Verkehrsunfall oder er- lebte Gewalt sein – aber auch die Todes- bedrohung angesichts einer medizini- schen Grenzsituation. Die empfundene Hilflosigkeit lässt viele nicht los. Wie wirkt sich die PTBS aus? Gawlytta: Patienten haben oft Alpträu- me, erleben Flashbacks, die sie gedank- lich und emotional auf die Intensivsta- tion zurück versetzen, können nicht schlafen oder sich nur schlecht konzen- trieren. Ihre Lebensqualität ist deutlich gemindert und sie empfinden oft einen großen Leidensdruck. In der Regel kön- nen sie das Erlebte nicht ohne Hilfe ver- arbeiten. Was ist das Neue an dem Projekt? Rosendahl: In der Studie überprüfen wir die Wirksamkeit der internetbasierten Schreibtherapie nach einer lebensbe- drohlichen Erkrankung mit Aufenthalt auf der Intensivstation. Ein ganz neuer Ansatz ist dabei, dass der Partner oder die Partnerin aktiv in die Behandlung einbezogen und selbst behandelt wird, wenn bei ihm oder ihr ebenfalls eine PTBS vorliegt. Ist der Partner nicht be- troffen, erhält er trotzdem Informatio- nen zur Therapie und ist auch bei dem ersten Telefoninterview dabei. Daher der Name »zwei leben«: weil es um bei- de Partner geht und die Patienten das Leben nach der Intensivstation oft als zweite Chance verstehen. Sind auch die Partner betroffen? Gawlytta: Ja. Denn auch sie waren über Tage oder Wochen der Situation aus- geliefert, nicht zu wissen, wie es ihrem Partner geht, wenn sie ins Krankenhaus kommen. Lebt er noch? Müssen sie viel- leicht entscheiden, ob die Geräte abge- stellt werden? Dieses Angstszenario werden viele nicht los, auch wenn der Partner oder die Partnerin die Intensiv- station längst verlassen hat. Wie viele Patienten leiden an einer PTBS? Rosendahl: Die Zahlen variieren in ver- schiedenen Studien stark. Insgesamt lässt sich sagen, dass rund jeder fünfte Sepsispatient und jeder fünfte Partner an der PTBS leidet. Vor allem wenn der Patient selbst betroffen ist, ist es oft auch der Partner. Sie teilen dasselbe Schicksal aus zwei Blickwinkeln. Wie hilft Ihr Projekt? Rosendahl: Nach einer Sepsis werden die Patienten nach Hause entlassen, obwohl sie noch Restsymptome haben. Im Laufe des körperlichen Genesungs- prozesses kommen dann häufig die Erinnerungen wieder hoch. Eigentlich ist dann eine Traumatherapie erforder- lich. Aber lange Wartezeiten und weite Wege, vor allem im ländlichen Raum, sind oft Hindernisse. Deswegen bieten wir eine internetbasierte Schreibthe­ rapie an und bringen die Therapie zum Patienten. Psychologische Behandlung per Internet hat sich in den vergange- nen Jahren etabliert und wird aktuell in verschiedenen Forschungsprojekten weiterentwickelt. Im Gegensatz zur herkömmlichen Sprechzimmertherapie findet der Kontakt zwischen Therapeut und Patient dabei per Computer statt. Was sind die Vorteile einer internetba- sierten Schreibtherapie? Rosendahl: Sie ist vor allem zeit- und ortsunabhängig. Patienten müssen also nicht lange auf einen Therapieplatz war- ten und können sich die Schreibtermine bequem zu Hause einteilen. Gerade wenn sie körperlich noch eingeschränkt sind, ist das ein entscheidender Vorteil. Zudem erleichtert es manchen Patien- ten, sich zu öffnen, wenn sie einem The- rapeuten nicht direkt gegenübersitzen. Das Schreiben fällt vielen bei Schuld- und Schamgefühlen leichter. »Zwei leben« ist ein Kooperationspro- jekt – mit wem arbeiten Sie zusam- men? Rosendahl: Vor Ort mit einer IT-Spezia- listin, die sich um das Portal kümmert, und in Berlin mit der Psychotherapeutin Prof. Dr. Christine Knaevelsrud sowie zwei weiteren Therapeutinnen von der Freien Universität Berlin. Sie leisten den therapeutischen Part, lesen die Texte

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