Lichtgedanken 06

S C HW E R P U N K T 16 Ernst Haeckel – ein Phänomen Der »deutsche Darwin« wird Ernst Haeckel oft genannt. Mit Luther wurde er verglichen. Für viele seiner Zeit- genossen war er der »Affenprofessor« oder »die Pestilenz von Jena«. Ernst Haeckel polarisiert – auch ein- hundert Jahre nach seinem Tod. Heute sind seine Verdienste um die Evolutionstheorie unbestritten. Ebenso unbestreitbar sind aber auch seine dunklen Seiten: Haeckel gilt als einer der Wegbereiter eugenischen Den- kens und als Forscher, den sein narzisstischer Geltungsdrang immer wieder dazu brachte, wissenschaftliche Beobachtungen auszuschmücken oder voreilig für allgemeingültig zu erklären. Ein Porträt über den Super- star der Evolutionstheorie, den Naturforscher, Künstler und Selbstdarsteller – das Phänomen Ernst Haeckel. TEXT: UTE SCHÖNFELDER Wie Haeckel sich selbst wahrgenommen hat, das lässt sich leicht erkennen, wenn man sein ehemaliges Wohnhaus in Jena besucht – »die Villa Medusa«. Hier trifft man den Zoologen in einer Reihe mit den ganz Großen seiner Zunft an: neben Darwin, Lamarck und Goethe. Die vier lebensgroßen Gemälde von Karl Bauer zeigen die »Väter« der Abstammungs- lehre. Ernst Haeckel selbst hat sie in Auftrag gegeben. Ursprünglich gedacht für die Eingangshalle des Phyletischen Museums, das er am Ende seines For- scherlebens 1908 der Universität stiftete. Der Abstammungslehre, seinem großen Lebensthema, war er fast 50 Jahre zuvor begegnet, im Sommer 1860: Der damals 26-Jährige war gerade von einer aus- gedehnten Forschungsreise aus Italien zurückgekehrt, als er Charles Darwins im Jahr zuvor erschienenes epochales Werk »Origin of Species« in die Hände bekam. Haeckel war sofort begeistert und machte die »Entwickelungstheorie Darwins« zu seinem Thema. Im Jahr darauf wurde er als Professor an die Universität Jena berufen und hielt ab dem Wintersemester 1862/63 flammende Vorlesungen zur Evolution. Im September 1863 referierte er wäh- rend der Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte in Stettin über Darwins Theorie – wohl wissend, dass diese das »grosse Heerlager der Zoolo- gen und Botaniker, der Paläontologen und Geologen, der Physiologen und Philosophen in zwei schroff gegenüber- stehende Parteien gespalten« hat. Hae- ckel bezog Position und steckte auf der Seite der »progressiven Darwinisten« sein Forschungsfeld ab. Über Umwege zum Naturforscher Haeckels Weg in die Zoologie verlief da- bei keineswegs geradlinig. In Potsdam 1834 geboren und in Merseburg aufge- wachsen, wurde in Ernst Heinrich Phil- ippAugust Haeckel zwar schon früh die Begeisterung für die Schönheit der Na- tur geweckt. Sein Hauslehrer, den die Eltern engagiert hatten bevor Haeckel das Merseburger Domgymnasium be- suchte, begeisterte ihn jedoch zunächst für die Botanik. Haeckel legte ein Her- barium an, das mehrere Tausend Pflan- zen umfasste. Als Heranwachsender studierte er Natur- und Reisebeschrei- bungen von Charles Darwin, Alexan- der von Humboldt und Matthias Jacob Schleiden und träumte davon, selbst Expeditionen in tropische Urwälder zu unternehmen. Nach dem bestandenen Abitur wollte Haeckel Botanik bei Schleiden in Jena studieren, entschied sich auf Anraten seines Vaters aber für ein Studium mit scheinbar besseren Karriereaussichten: die Medizin. Ihn begeisterten zuneh- mend Anatomie und Physiologie, die Aussichten auf die Arbeit als prakti- zierender Arzt schreckten ihn jedoch ab. Er fürchtete sich vor Krankheiten und quälte sich durch das Studium. Ihn lockten andere Interessen. Schon wäh- rend seiner Studienzeit unternahm er Forschungsreisen ans Meer: nach Hel- goland oder nach Nizza. Seine Karriere als Arzt dauerte schließlich nur ein paar Monate. Anfang 1859 entfloh er der Pra- xis und begab sich auf eine 15-monatige Studienreise nach Italien. Im Golf von Messina untersuchte er winzige Strahlentierchen (Radiolari- Ernst Haeckel im Jahr 1872. Der damals 38-Jährige hatte bereits mehrere umfangreiche Publikationen veröffentlicht, darunter »Die Radiolarien« (1862), die »Generelle Morphologie der Organismen« (1866), die »Natürliche Schöpfungsgeschichte« (1868). 1872 erschien seine Monografie »Die Kalkschwäm- me«. Insgesamt schrieb Haeckel mehr als zwei Dutzend teilweise hunderte Seiten und Bildtafeln umfassende wissenschaftliche Werke.

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