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Uni-Journal Jena07/15

Forschung

Beschwerdefrei ohne Medikamente

Studie belegt: Kombinationstherapie kann Leukämie heilen

Recycling-Spezialisten in der Zelle

Humangenetiker entschlüsseln die Rolle des Proteins „FAM134B“

Ein neuer Behandlungsansatz bei chro-

nischer myeloischer Leukämie (CML)

erlaubt vielen Betroffenen, ihre Medi-

kamente dauerhaft abzusetzen. Das

berichteten Krebsforscher aus Jena,

Marburg und Mannheim im Fachblatt

„Leukemia“ (DOI: 10.1038/leu.2015.45).

„Leukämie betrifft in Deutschland

eine zunehmende Zahl von Menschen“,

erklärt Mitverfasser Prof. Dr. Andreas

Neubauer von der Uni Marburg. Leu­

kämie, auch Blutkrebs genannt, ist eine

Störung der Blutbildung, bei der sich

weiße Blutkörperchen unkontrolliert ver-

mehren. Die Krankheit verläuft tödlich,

wenn sie nicht behandelt wird.

Das Arzneimittel Imatinib ist das Stan-

dardpräparat gegen chronische myeloi-

sche Leukämie. Es hemmt die Aktivität

des krebsauslösenden Gens BCR-ABL,

woraufhin die Krebszellen ein Zelltod-

programm anschalten, so dass sie ab-

sterben. Die Gefahr besteht allerdings,

dass trotz der Behandlung einzelne Leu-

kämiezellen übrigbleiben, weil sie gegen

das Medikament resistent sind oder im

Verlauf der Behandlung eine Resistenz

entwickeln.

Um das zu vermeiden, erprobten die

Forscher in der aktuellen Studie eine

neue Therapie, bei der sie neben Ima-

tinib auch das körpereigene Hormon

Interferon einsetzten. „Interferon akti-

viert das Immunsystem und kontrolliert

dadurch Leukämiezellen, die gegen Ima-

tinib resistent sind“, erläutert der Jenaer

Studienkoordinator Prof. Dr. Andreas

Hochhaus.

DasTeam behandelte 20 Patienten mit

Imatinib in Kombination mit Interferon.

Die Forscher konnten dabei beobach-

ten, dass viele Patienten krankheitsfrei

blieben, obwohl sie Imatinib absetzen

mussten und weiter ausschließlich In-

terferon erhielten. Selbst nach bis zu

zwölf Jahren seit Diagnosestellung blie-

ben mehr als 70 Prozent der Patienten

rückfallfrei. Fast die Hälfte der Patienten

konnte später auch Interferon absetzen

und lebt ohne jede Therapie bis zu fünf

Jahren rückfall- und beschwerdefrei.

Klinikum koordiniert „TIGER“

Die Autoren schlussfolgern, dass eine

Kombinationstherapie von Imatinib und

Interferon es den meisten Patienten er-

möglichen könnte, komplett therapiefrei

zu werden. Die Frage, ob dieses neuar-

tige Behandlungskonzept die Zahl derje-

nigen Patienten erhöhen kann, die dau-

erhaft ohne Medikamente auskommen,

steht derzeit im Fokus der deutschland-

weiten klinischen Studie „TIGER“, die

durch das Uniklinikum Jena koordiniert

wird und in über 100 Behandlungszent-

ren deutschlandweit stattfindet. 

vdG

Forschung als Fortsetzungs-

roman: Vor sechs Jahren

zeigten Humangenetiker des

Universitätsklinikums, dass

die Mutation eines bis dahin

nicht charakterisierten Gens

zur Degeneration langer Aus-

läufer von Nervenzellen führt,

die wichtig für das Tempera-

tur- und Schmerzempfinden

sind. Patienten mit einem

Funktionsverlust des Gens

FAM134B leiden aufgrund

der fehlenden Schmerzwahr-

nehmung an schweren Ver-

letzungen und Verbrennungen. Jetzt ha-

ben die Humangenetiker zusammen mit

Forschern der Universität Frankfurt/M.

die Rolle des Proteins FAM134B ent-

schlüsselt: Es steuert den ständigen

bedarfsgerechten Umbau- und Erneue-

rungsprozess, dem das endoplasmati-

sche Retikulum als wichtiges Zellorgan

unterliegt. Ihre Ergebnisse veröffentlich-

ten die Wissenschaftler im Fachjournal

„Nature“ (DOI: 10.1038/nature14498).

Die genaue Funktion des vom Gen

verschlüsselten Proteins FAM134B in

der Nervenzelle war bislang jedoch

unklar. „Dieser Fragestellung sind wir

nachgegangen und haben zunächst

nach Zellproteinen gesucht, die mit

FAM134B interagieren“, beschreibt PD

Dr. Ingo Kurth vom Institut für Human-

genetik den Ansatz der aktuellen Studie.

„Hierbei sind wir schließlich auf Proteine

der Autophagie-Maschinerie gestoßen.“

Bei der Autophagie baut die Zelle eigene

Strukturen ab, um die so freiwerdenden

Bestandteile für aktuell wichtigere Pro-

zesse einsetzen zu können – quasi eine

Art Recycling.  

Protein steuert Umbauprozesse

Das endoplasmatische Retikulum

reguliert als ein zentrales Zellorgan

den Kalziumhaushalt, die Fettsynthese

und die Qualitätskontrolle und Faltung

neu synthetisierter Proteine. Um diese

Zellaufgaben erfüllen zu können, ist es

einem ständigen Umbau- und Erneue-

rungsprozess unterworfen. „Genau die-

sen steuert FAM134B durch die Kommu-

nikation mit den Autophagie-Proteinen“,

nennt Doktorandin Theresa Heinrich das

zentrale Ergebnis. Ihr Betreuer Prof. Dr.

Christian Hübner: „Das endoplasmati-

sche Retikulum scheint auf diese Weise

das Langzeitüberleben der Zelle zu si-

chern: Schaltet man das FAM134B-Gen

gezielt ab, kommt es in sensorischen

Nervenzellen zu einem gestörten Um-

bau des Zellorgans und des benach-

barten Golgi-Apparates. In der Folge

sterben diese Nervenzellen ab.“ Mit ih-

ren Daten konnten die Wissenschaftler

belegen, dass das Protein FAM134B als

neuartiger Rezeptor fungiert, der in Ver-

bindung mit der Autophagie-Maschinerie

bei der Anpassung der Zelle an sich än-

dernde Bedingungen mitwirkt. 

vdG

Prof.Dr.Andreas

HochhausistMitau-

torderStudie.

Kontakt:

Tel.:03641/9324206

E-Mail:Andreas. Hochhaus@med.uni

-

jena.de

Foto:UKJ

Humangenetiker

Prof.Dr.Christian

HübnerleitetdasJe-

naerForscherteam.

Kontakt:

Tel.:03641/935501

E-Mail:Christian. Huebner@med.uni

-

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