Lichtgedanken 06

S C HW E R P U N K T 32 Wie ein Außerirdischer muss Nikolai Miklucho-Maclay auf die Papua gewirkt haben, als sie ihn das erste Mal sahen: Ein kleiner, schmächtiger Mann, der von einem großen Schiff kommend in einem Boot auf ihre Insel zuruderte. Höchst- wahrscheinlich war er der erste Weiße, dem sie jemals begeg- net waren. Es ist September 1871. Der russische Naturforscher war gekommen, um auf Neu-Guinea zu bleiben. Er baute sich eine Hütte in einem ihrer Dörfer und lebte etwa 14 Monate bei und mit den Indigenen. In dieser Zeit untersuchte er sowohl die Flora und Fauna auf der Insel als auch die Lebensgewohn- heiten, das soziale Gefüge, die Sprache und Gebräuche seiner Gastgeber. Mit seinen Forschungen – vor allem im Bereich der vergleichenden Anatomie – wollte er unmissverständlich belegen, dass alle Menschen der gleichen Spezies angehören. Denn was heute als selbstverständlich gilt, war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus noch ein wissenschaftli- cher Streitfall – auch zwischen Miklucho-Maclay und seinem früheren Lehrer Ernst Haeckel. Bei ihm in Jena hatte er drei Jahre studiert. Prof. Dr. Uwe Hoßfeld und PD Dr. Georgy Levit von der Ar- beitsgruppe Biologiedidaktik der Universität Jena haben sich nun auf die Spuren dieser besonderen Beziehung begeben. Ausgangspunkt dafür war ein sensationeller Fund: Im Archiv der Russischen Geographischen Gesellschaft in St. Petersburg, wo der komplette Nachlass Miklucho-Maclays aufbewahrt wird, haben die beiden Wissenschaftler Unterlagen aus des- sen Studienzeit an der Universität Jena gesichtet – und darun- ter vollständige Mitschriften von Vorlesungen Ernst Haeckels entdeckt. »Uns liegen umfassende Aufzeichnungen einer Zoologie- und einer Paläontologie-Vorlesung Haeckels vor so- wie eine weitere Vorlesung von Carl Gegenbaur, dem Lehrer Haeckels«, sagt Uwe Hoßfeld. »Wir haben hier also einen un- verfälschten und in dieser Form absolut einmaligen Blick dar- auf, wie Haeckel gelehrt hat. Das ist besonders wertvoll, da er als Universitätsprofessor überwiegend frei gesprochen hat.« Zudem habe Miklucho-Maclay sogar das Tafelbild komplett abgezeichnet und in seine Notizen integriert. So finden sich beispielsweise Abbildungen von Pfeilschwanzkrebsen, See­ pferdchen und auch vom Jenaer Kollegienhof in den Papieren. Möglicherweise war es diese Akribie, die Haeckels Interesse an seinem russischen Schüler weckte, so dass er ihn bereits 1866 zu seinem Assistenten machte. Kein halbes Jahr später bezeichnete Ernst Haeckel ihn in ei- nem Brief an seine Eltern als »einen seiner liebsten Schüler«, um den er sich sogar kümmerte, als dieser krank war. Zudem nahm er ihn 1866 bzw. 1867 auf Expeditionen nach Madeira und auf die Kanarischen Inseln mit. Haeckel motivierte den jungen Biologen zu Forschungen an Spongien, aus denen eine erste Publikation hervorging. Doch Miklucho-Maclay führte ein unstetes Studentenleben, machte Schulden und verschwand von Zeit zu Zeit, tauchte aber immer wieder auf. Im Jahr 1868 schließlich beendete er sein Studium ohne offiziellen Abschluss. Anschließend unter- nahm er einige Forschungsreisen, u. a. nach Sizilien und ans Rote Meer. In Jena hielt er sich vermutlich das letzte Mal 1870 auf, da er hier noch eine vergleichende Monografie zur Neu- rologie der Wirbeltiere schrieb, die er aber nicht Ernst Haeckel sondern Carl Gegenbaur widmete. »Spätestens 1871 schließ- lich hat er alle Kontakte zu seinem früheren Lehrer und För- derer abgebrochen – vermutlich weil er Haeckels Einteilung der Menschen in unterschiedlich hierarchisierte Rassen nicht teilte«, sagt Georgy Levit. Mitschrift der Haeckel-Vorlesungen erscheint in Buchform Wie intensiv die Verbindung und die Auseinandersetzungen zwischen Haeckel und Miklucho-Maclay waren, das wol- len Hoßfeld und Levit nun genauer recherchieren. Noch in diesem Jahr (Herbst 2019) erscheint in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Jena die »entdeckte« Mitschrift der Zoo- logie-Vorlesung in Buchform. Außerdem wollen die beiden Wissenschaftshistoriker mehr über Miklucho-Maclays wis- senschaftliches Arbeiten und seine damit verbundene Reputa- tion erfahren. So gründete er etwa in Sydney, wo er sich 1878 niedergelassen und die Tochter des damaligen Premierminis- Der Mondmann Er war Naturforscher, Anthropologe, Ethnologe – und der erste Antirassist. Nur wenige Jahre stu- dierte Nikolai Miklucho-Maclay bei Ernst Haeckel in Jena. Dann überwarf er sich mit seinem Lehrer. Doch trieb ihn vermutlich ausgerechnet diese Auseinandersetzung zeitlebens an. TEXT: SEBASTIAN HOLLSTEIN Nikolai Miklucho-Maclay (l.) und Ernst Haeckel. Die Aufnahme zeigt die beiden Naturforscher im Jahr 1866 während oder nach ihrer Reise auf die Kanarischen Inseln.

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