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Uni-Journal Jena04/15

Skat spielen in der letzten Reihe

Mein 1. Semester: Prof. Dr. Wolfgang Dahmen

Wie haben Sie Ihr 1. Semester erlebt?

An mein erstes Semester (Winter-

semester 1968/69) kann ich mich noch

sehr gut erinnern, ich weiß sogar noch

meinen Stundenplan auswendig: be-

ginnend montags um 13.30 Uhr mit ei-

nem mittellateinischen Lektürekurs und

endend freitags um 15 Uhr mit einem

Proseminar zur alten Geschichte. Meine

Studienfächer waren Romanistik (Fran-

zösisch), Geographie und Geschichte,

das Ganze mit dem Studienziel „Lehrer

am Gymnasium“.

Gebürtig und aufgewachsen in Düs-

seldorf begann ich mein Studium in Köln,

der damals nächstgelegenen Universi-

tätsstadt, wo auch schon mein älterer

Bruder studierte. Da er in einem Stu-

dentenheim wohnte, bewarb ich mich

dort um ein Zimmer, das ich aber erst

zu Beginn meines zweiten Semesters

bekam – ich wohnte also zunächst wei-

ter bei meinen Eltern und musste täglich

mit dem Zug nach Köln pendeln.

Was hat Ihnen beim Eingewöhnen in

den Lebensraum Universität geholfen

und wo gab es Probleme?

Dieses erste Semester war so etwas

wie ein Übergang vom Status des Schü-

lers zu dem des Studenten. Ab dem

zweiten Semester, als ich in fußläufiger

Distanz zur Universität wohnte, habe

ich die Angebote sowohl universitärer

Art (Vorträge etc.) als auch des studen-

tischen Kneipenlebens dann intensiver

ausgenutzt. Die Integration in den Le-

bensraum Universität war im ersten Se-

mester also sicherlich noch ungenügend.

Waren Sie chaotisch oder bestens or-

ganisiert? Einzelkämpfer oder Grup-

penlerner?

Am Anfang fühlte ich mich ziemlich

unsicher: Da es in Nordrhein-Westfalen

wegen der Umstellung des Schuljahres-

beginns vom Frühjahr auf den Herbst

Kurzschuljahre gegeben hatte, hatte ich

kurz nach meinem 18. Geburtstag Abi-

tur gemacht. Oft fühlte ich mich noch zu

jung oder unreif für die Universität, und

dass man als „Jungspund“ erst einmal

kleine Brötchen zu backen hatte, ließen

einen die älteren Semester durchaus

spüren. Hinzu kam für mich eine andere

Ungewissheit: Dadurch, dass ich so früh

hatte Abitur machen können, war ich zu

Studienbeginn noch nicht gemustert

worden; ich studierte also mit der Angst,

unter Umständen bald mein Studium un-

terbrechen und zur Bundeswehr gehen

zu müssen. So war die Musterung, die

gegen Ende des

ersten Semesters

erfolgte, in der Tat

die härteste Prü-

fung des ersten

Semesters – er-

freulicher weise

habe ich gerade

diese als einzige

nicht bestanden...

Da es zu dieser

Zeit noch keine

F o t o k o p i e r g e -

räte gab, musste

vieles, das man

gelesen hatte,

schriftlich exzer-

piert werden. Ich

erinnere mich,

dass ich Freistun-

den gerne dazu

genutzt habe, in

der Bibliothek die Inhaltsangaben von

Romanen oder Theaterstücken aus

Kindlers Literaturlexikon einfach abzu-

schreiben. Und da uns ein Dozent aus

der Romanistik gesagt hatte, dass man

pro Semester etwa 1 500-2 000 Seiten

französischer Literatur lesen müsse,

habe ich mich gezwungen, jeden Tag

mindestens 10 Seiten zu lesen. Dies war

zuweilen schon eine Herausforderung,

und manches Mal habe ich mich gewun-

dert, was in der Zusammenfassung in

Kindlers Literaturlexikon über das Werk

stand, das ich gerade „geschafft“ hatte.

Was war das Wichtigste/Beste am

ersten Semester?

Als ich zur Schule ging, war Koeduka-

tion noch ein Fremdwort, d. h. sowohl

die Grundschule wie auch das Gymna-

sium waren getrenntgeschlechtlich. Nun

kam ich in Vorlesungen und Seminare,

in denen auch junge Damen saßen, und

das in einem Fach wie der Romanistik, in

dem männliche Studierende traditionell

eine verschwindend kleine Minderheit

sind…

Von den Kommilitoninnen, die ich im

ersten Semester kennengelernt habe,

weiß ich heute zwar noch den einen

oder anderen Namen, doch Kontakt

habe ich zu keiner von ihnen mehr. Da-

gegen sind Freundschaften mit Kommi-

litonen entstanden, die bis heute halten.

Ich denke da vor allem an zwei Roma-

nisten: Der eine fuhr mit mir regelmäßig

im selben Zug von Düsseldorf nach Köln,

mit dem anderen habe ich im Prosemi-

nar zur alten Geschichte in der letzten

Reihe Skat gespielt, wenn es vorne zu

langweilig war – er hatte dann bis zu

seiner Emeritierung einen Lehrstuhl am

Romanischen Seminar einer hessischen

Universität.

Sind Sie immer zu allen Vorlesungen

gegangen?

Ja. Zwar hatte ich schon im ersten Se-

mester in manchen Lehrveranstaltungen

das Gefühl, dass sie mir nichts bringen,

doch den Mut, dann einfach nicht mehr

hinzugehen, hatte ich erst später (außer-

dem gab es ja die Alternative des Skat-

spielens). Vielleicht lag das aber auch an

Folgendem: Als ich mein Studium be-

gann, musste man noch Gebühren für

jede belegte Lehrveranstaltung bezahlen

(2,50 DM pro SWS), die meine Eltern für

mich übernahmen. Ich glaube, ich hätte

es als unfair ihnen gegenüber betrach-

tet, wenn sie für etwas bezahlen, was

ich nicht in Anspruch nehme.

Dachten Sie mal daran aufzugeben?

Nein. Es gab natürlich Momente, in

denen ich weniger Gefallen am Studium

fand, aber so schlimm, dass ich ernsthaft

erwogen hätte, ganz hinzuschmeißen,

war es weder im ersten Semester noch

in der Folgezeit.

Was stand neben dem Studienplan

auf Ihrem Programm?

Wenig, was mit der Universität zu tun

hatte: etwa Aktivitäten in der katholi-

schen Jugend und regelmäßige Besuche

am Wochenende bei den Düsseldorfer

Sportmannschaften (Fußball: Fortuna

Düsseldorf, Eishockey: Düsseldorfer

EG).

FSU intern

DasersteSemes-

tervermerktim

Studentenausweis:

WolfgangDahmen,

heuteProfessorfür

RumänischePhilolo-

gie,nahmimHerbst

1968seinStudium

anderUniversitätzu

Kölnauf.

Foto:Kasper