Uni-Journal Jena April 2014 - page 48

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Uni-JournalJena04/14
NeueBücher
Der Pfarrer im
Glashaus
Netzwerke der
Rasseforschung
Freiheit und Einsamkeit
Bildung als protestantisches Modell
„Bildung ist ein zutiefst protestantisches
Modell“, so lautet dieThese vonProf. Dr.
Dr. Ralf Koerrenz. Dass Bildung auf pro-
testantischen Ideenberuht, bedeutet für
den Erziehungswissenschaftler im Um-
kehrschluss auch, dassdieseebennicht
einem katholischen oder orthodoxen
Denken entspringt. Vielmehr, so betont
Koerrenz, sei Bildung „eine Geburt aus
demGeist des Protestantismus“.
Entsprechend eindeutig nimmt sich
auch der Titel einer kürzlich von Koer-
renz herausgegebenen Publikation aus.
„Bildung als protestantisches Modell“
möchte einerseits klären, inwieweit das
Modell „Bildung“ von seinen religiösen
Wurzeln aus weit mehr als ein „protes-
tantisches“ Modell zu verstehen sei,
denn als ein „deutsches“ Deutungs-
muster. Andererseits wird „Bildung“
für Theologie und Kirche zu einem her-
meneutischen Schlüssel, mit dem der
Protestantismus selbst unter anthropo-
logischen Vorzeichen gelesen werden
kann. Dabei enthalte der hier gemeinte
Begriff von „Bildung“ gerade in seiner
religiösen Grundierung ein kritisches
Potenzial gegen seine eigene Rezepti-
onsgeschichte, in der Bildung zu einem
bloßenBesitzstand verkommen sei.
„Bildung“ sei in anthropologischer
Perspektive mit der Frage nach der
Selbstdeutung des Menschen auf das
Engste verknüpft. „Dabei spielt dasVer-
ständnisvonFreiheiteineentscheidende
Rolle“, erklärt Koerrenz. „DieTradition, in
der in eigenerWeise eine Verknüpfung
des Motivs ,Freiheit‘ mit wesentlichen
Wertvorstellungen der Aufklärung wie
Autonomie oder Mündigkeit zu einer
neuverstandenenAnthropologiegeführt
hat, war der Protestantismus.“
Mit jener neuen Form von Freiheit sei
im Protestantis-
mus die Erfahrung
des Zurückge-
worfenseins des
Einzelnen auf sich
selbst verbunden
gewesen. Einem
so verstandenen
Freiheitsgedanken
sei zumeineneine
universal gedachte
Vernunft eigen,
zum anderen aber
auch der Beige-
schmack von Ver-
lassenheit undEin-
samkeit, da sich
der Mensch vor
die Unausweich-
lichkeit der Wahl
und der je individuellen Entscheidung
gestellt sah. Dieses Aufeinandertreffen
von Freiheit und Einsamkeit erfolgte in
einem Rahmen, in dem kein höchstes
Lehramt und keine festgefügte Sozial-
ordnungmehr eine tragendeEntlastung
versprach. Bildung als Modell für den
Umgang desMenschenmit sich selbst
sei letztlich eine Bewältigungsstrategie
dieser Freiheit, ist Koerrenz überzeugt.
Mit ihrer Publikation stellen sichKoer-
renzundseineachtMitstreiter ausTheo-
logie und Pädagogik nicht zuletzt auch
gegen den unscharfen Bildungsbegriff
unserer Zeit.Wer sich an die „Vermes-
sung“ von Bildungmache oder Bildung
auf den Besitz bestimmter „Güter“
reduziere, wie es dem heutigen Zeit-
geist oft entspreche, der verkehre den
Bildungsgedanken in seinGegenteil, so
der Erziehungsforscher. „Bildung ist in
der öffentlichenKommunikation zueiner
Chiffre ohne Inhalt geworden.“
ca
RalfKoerrenz(Hg.):
Bildungalsprotes-
tantischesModell,
VerlagFerdinand
Schöningh,Pader-
born2013,179Seiten,
24,90Euro,ISBN978-
3-506-77689-1
Vor 80 Jahrenwurde Karl As-
tel als Professor für mensch-
liche Züchtungslehre und
Vererbungsforschung an die
Universität Jena berufen.
Später sogar Rektor, ver-
suchte Astel in enger Anleh-
nung an den Chef der SS,
HeinrichHimmler, dieUniver-
sität in eine elitäre „SS-Uni-
versität“ zu verwandeln. Auf
welche Netzwerke konnte
Astel dabei setzen und wer
finanzierte seineUmtriebe?
Das hat der Biologiedidak-
tiker und Wissenschaftshis-
toriker Prof. Dr. UweHoßfeld
in dem jüngst erschienenen
Band „Institute, Geld, Intri-
gen. Rassenwahn in Thürin-
gen, 1930 bis 1945“ zusam-
mengefasst. Darin hat er die
rassenkundlichen und ras-
sehygienischen Netzwerke
erforscht und dabei die be-
sonderen Verhältnisse im sogenannten
Trutzgau Thüringen unter die Lupe ge-
nommen. Mit der aktuellen Publikation
schließt sich für Hoßfeld der Kreis der
Erforschung der NS-Vergangenheit an
der Jenaer Universität.
sl
UweHoßfeld:„Insti-
tute,Geld,Intrigen.
Rassenwahnin
Thüringen,1930bis
1945“,erschienen
beiderLandeszen-
tralefürpolitische
BildungThüringen,
Regierungsstraße73,
99084Erfurt,Erfurt
2014,180Seiten,
ISBN978-3-943588-
36-1,zubeziehen
über:www.lzt.thue-
ringen.de.
Zahlreiche Dichter und Den-
ker haben ihre Wurzeln in
einem Pfarrhaus. Der Jenaer
Kirchenhistoriker Prof. Dr.
Christopher Spehr ist ge-
meinsammitThomas A. Sei-
del dem Mythos Pfarrhaus
auf denGrundgegangenund
hat das Buch „Das evangeli-
sche Pfarrhaus“ herausge-
geben. Über Jahrhunderte,
so Spehr, habe der Pfarrer
eineSonderstellung in seiner
Gemeinde inne gehabt, das
Pfarrhaus sei gleichsam als
„Glashaus“ wahrgenommen
worden. Heute jedoch stehe
das Pfarrhaus nicht mehr
zwangsläufig im Zentrum ei-
nes Ortes und der Charakter
des evangelischen Pfarrhauses hat sich
radikal gewandelt, wie die Beiträge des
Buches deutlichmachen.
sl
ThomasA.Seidel,
ChristopherSpehr
(Hg.):„Dasevangeli-
schePfarrhaus.My-
thosundWirklich-
keit“,Evangelische
VerlagsanstaltLeip-
zig,Leipzig2013,220
Seiten,24Euro,ISBN
978-3-374-03341-6
1...,38,39,40,41,42,43,44,45,46,47 49,50,51,52
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