Uni-Journal Jena April 2014 - page 42

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Uni-JournalJena04/14
FSU intern
„Die Früchte entschlossenen Handelns“
Zeitzeuge undMitgestalter der Erneuerung: Dietfried Jorke imGespräch
DieWende an der FSU
Rückblick auf den politischen Umbruch vor 25 Jahren
Herr Jorke,
in
jüngster
Zeit
sahen wir bei-
nahe
täglich
Neuigkeiten aus
der Ukraine, De-
monstrationen,
Straßenschlach-
ten usw. Was
empfinden Sie
angesichts dieser Bildermit Blick auf
IhreErfahrungen aus dem Jahr 1989?
Ich empfinde eine große Dankbarkeit
angesichts dessen, was uns erspart ge-
blieben ist.
Sie haben sich 1989 bürgerschaftlich
engagiert.Woher rührte der Impuls,
sich einzumischen?
Zum einenwar ichMitglied der CDU-
Hochschulgruppe, die ja Keimzelle der
AktionsgemeinschaftDemokratischeEr-
neuerung der Hochschule – kurz ADEH
–war.AuslösendesMomentmeinesEn-
gagements war der Protest gegen die
Wahlfälschungen im Frühjahr 1989.
Sehen Sie den politischenWandel in
der DDR, imOstblock als Revolution
an?
Ich würde schon von einer Revolu-
tion sprechen, zumindest in der letzten
Phase der Ereignisse.
In China wurden Proteste gewalt-
samniedergeschlagen. HattenSie im
Sommer 1989Angst vor einer„chine-
sischen Lösung“ inder DDR?
Natürlich hatten wir anfangs Angst.
Nach den Geschehnissen in Leipzig im
November 1989 nichtmehr.
Was ist für Sie das entscheidende
„Wende“-Ereignis ander FSU?
DievonderADEH initiierteunddurch-
gesetzte Beseitigung der SED-Herr-
schaft in allenGremien der FSU.
Was sehen Sie – im Rückblick – als
geglückt an, als Erfolgder Umgestal-
tung ander FSU?
Zunächst primär die Wiederherstel-
lung der demokratischen Verfassung
und Leitung der FSU. Zudem die aktive
Teilhabe ander nationalenund internati-
onalen Forschung und Lehre.
HabenSieeinebesondereErinnerung
an den 9. November, denTag, als die
Mauer fiel?
Als ich dieseNachricht hörte, warmir
klar, dass mit diesem Schritt das Ende
der SED-Herrschaft besiegelt ist. Zu-
gleich triebmichdieSorgeum,wiewohl
dieSowjetunion reagierenwürde.
Die junge Generation von Studieren-
den hat kaum noch einen Bezug zu
den Ereignissen der Jahre 1989/90.
Warum sollte sie sich dennoch dafür
interessieren?
Die Studenten von heute ernten die
Früchte des entschlossenen Handelns
der älterenGeneration und könntenVer-
gleiche ziehen zu den Geschehnissen
und Verhältnissen anderer Ostblocklän-
der.
(Interview: Stephan Laudien)
1989 gerät die DDR ins Wanken, ein
Jahr später verschwindet sie von der
Weltkarte.Ausgelöstwirddieser revolu-
tionäreWandel bereits 1985, alsMichail
Gorbatschow sein Amt als jüngster Ge-
neralsekretär der KommunistischenPar-
tei der Sowjetunion antrat. Der 54-Jäh-
rigepostuliertGlasnost undPerestroika,
Offenheit und Umstrukturierung, und
läutet so das Ende desOstblocks ein.
Während es in der DDR seit den ge-
fälschten Kommunalwahlen vom Mai
1989 überall gärt, bleibt es an der FSU
lange Zeit ruhig. Doch vereinzelte Sig-
nale lassen erahnen, dass der frische
Wind im Land vor denMauern der Uni-
versität nicht haltmachenwird. DenAn-
stoß haben Studenten gegeben. In der
Aktion „Ambulancia“ beginnen Studen-
ten der Staats- undRechtswissenschaf-
ten mit Theologiestudenten, im Herbst
1988 Geld für einen Krankenwagen zu
sammeln. Sie wollen das Auto als Zei-
chen der Solidarität dem nikaraguani-
schen Volk schenken. Das Unerhörte:
Die Aktion läuft nicht unter dem Dach
des Jugendverbandes „Freie Deutsche
Jugend“ (FDJ).
Im Frühling 1989 geht es weiter. Die
Probenummer einer unabhängigen
Studentenzeitung erscheint. Schritt für
Schritt erkämpfen sich die Studenten
Freiräume, während die verhärteten
Strukturen in der „sozialistischen Uni-
versität“bröckeln.Am19.Oktober 1989
kommenüber 800Menschen inderAula
zum „Reformhaus“ zusammen. Unter
demMotto„Mut stattWut“wirddebat-
tiert und diskutiert. Zum Kreis der Ak-
tiven gehörenTilo Schieck, Olaf Hauer,
der sich später als Stasi-Mitarbeiter
outet, Uwe Schrader und Holger Boas.
Ziel ist es zunächst, die DDR zu erneu-
ern, sich demokratische Freiräume zu
verschaffen. AmTag zuvor hatte Rektor
HansSchmigallanachBerlin telegrafiert:
„(D)ie universitaet arbeitet“.
Doch nun geht es Schlag auf Schlag.
Am 23. Oktober fordert der Physiologe
Ulrich Zwiener, das Machtmonopol der
SEDabzuschaffen.Obwohl er gemaßre-
gelt wird, folgt am 31. Oktober ein Dis-
kussionsforumunterdemTitel„EinHaus
für morgen – Mediziner im Gespräch“.
Schließlich wird am 7. Dezember 1989
auf Initiative des Internisten Dietfried
Jorke die „Aktionsgemeinschaft Demo-
kratische Erneuerung der Hochschule“
gegründet. DerenForderung: Zurücktre-
tenmögendiewissenschaftlichenRäte,
der nicht demokratisch legitimierte Se-
nat, der Rektor. Alle Leitungsgremien
der Universität sind neu zu wählen. Im
Januar 1990 stellt Rektor Schmigalla die
Vertrauensfrage: Er erhält 33 Ja- bei 75
Nein-Stimmen und vier Enthaltungen.
DerWeg zur Neuwahl eines Rektors ist
frei. 
sl
Prof.Dr.Dietfried
Jorkewarlangjäh-
rigerDirektorder
KlinikfürInnere
Medizin.Erhatsich
wesentlichfürden
Erneuerungsprozess
anderUniversität
nachderWende
eingesetztundwaru.
a.Sprecherder„Ak-
tionsgemeinschaft
DemokratischeEr-
neuerungderHoch-
schule“.Fürdieses
Engagementister
1994zumEhrensena-
torderFSUernannt
worden.
Foto:Kasper
NochimSeptember
1989fandander
FSUeinKarl-Marx-
Seminarstatt.Zum
25.Jubiläumdes
politischenund
gesellschaftlichen
Umbruchswollen
wirLeserinnenund
LeserndieMöglich-
keitgeben,Einblicke
indieWendezeitan
derFSUzuerhalten.
SendenSieunsIhre
FragenzudieserThe-
Foto:Scheere
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