Uni-Journal Jena Juli 2014 - page 18

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Uni-JournalJena07/14
Forschungsprojekte
Jenaer Psychiatrie im 20. Jahrhundert
Historiker schreiben eine Gesellschaftsgeschichte der Jenaer Psychiatrie
Die verheereneWirkung der Bilder
Wie historische Ereignisse in denMedien wahrgenommen werden
Berühmte Ärzte und berühmte Patien-
tengibt es inder Geschichteder Jenaer
Psychiatrie. So wurde der Philosoph
FriedrichNietzschevonOttoBinswanger
behandelt. Dessen Nachfolger im Amt
desKlinikdirektorswarHansBerger, der
Erfinder des Elektroenzephalogramms.
Dochnun rückenweniger bekannteMe-
diziner und die nichtprominenten Pati-
enten der Psychiatrischen Klinik in den
Fokus einer Gruppe vonHistorikern.
Ein dreiköpfiges Team um den Pro-
jektleiter Dr. Tobias Freimüller wird die
Geschichte der Jenaer Psychiatrie im
20. Jahrhundert erforschen. Finanziell
gefördert wird die Arbeit der Historiker
durch die Jenaer Ernst-Abbe-Stiftung.
Das Projekt wird über drei Jahre laufen,
am Ende sollen drei Publikationen über
die Jenaer Psychiatrie vorliegen.
Es gehe nicht vorrangig umWissen-
schafts- und Medizingeschichte, sagt
der Historiker Freimüller: „Unser Anlie-
gen ist es, die Geschichte der Jenaer
Psychiatrie als Gesellschaftsgeschichte
zu schreiben.“ Erforscht werden sollen
nicht nur die Klinik und ihr Zusammen-
wirken mit Institutionen aus Politik,
Wissenschaft und Gesundheitswesen,
sondernauchdasmedizinischePersonal
und in besondererWeise diePatienten.
„Unser Projekt soll über Zäsurenwie
1945hinausführen“, sagt Freimüller. Inte-
ressant seienKontinuitätenundBrüche,
etwa bei Behandlungsmethoden oder
dem Personal. Weitere offene Fragen
betreffen die oft zitierten modischen
Krankheitsbilder und dazu passende
Therapien. DieWissenschaftler fragen
danach, wie sich im 20. Jahrhundert
der Umgangmit psychisch kranken und
geistigbehindertenMenschenverändert
hat. Der bereits eingehender erforschte
Zusammenhang zwischen Psychiatrie
undMedizin-Verbrechen im Nationalso-
zialismuswerdenicht ausgeblendet, soll
jedoch in die Vor- und Nachgeschichte
eingebettet werden. „Wir erhoffen uns
Aufschlüsse über die Radikalisierungs-
prozesse vor 1933 und wollen auch die
nicht minder bedeutsamen Entradika-
lisierungs-, Transformations- und Lern-
prozesse nach 1945 untersuchen“, sagt
Dr. Freimüller.
Prägende Figuren aufspüren
BeimmedizinischenPersonal der Psy-
chiatriewollenTobiasFreimüller undsein
Team vor allem nach den prägenden Fi-
guren fragen. Dazu zählt u. a. Berthold
Kihn, der als Nachfolger Hans Bergers
zunächst die Landesheilanstalt Stadt-
roda geleitet hatte und später Richter
am Erbgesundheitsgericht Jena wurde.
DieHistoriker wollen unterschiedlichste
Quellen heranziehen, neben Akten der
Psychiatrischen Klinik und aus staatli-
chen Archiven sollen auch Nachlässe
ausgewertetwerden.
Unterstützt wird das Projekt zudem
durcheinenwissenschaftlichenBeirat. sl
Ist Bruno Ganz der bessere
Hitler? Wird der Mime viel-
leicht anstelle des Diktators
in den Schulbüchern der Zu-
kunft abgebildet werden? Es
sind provokante Fragen wie
diese, mit denen sich Prof.
Dr. Rainer Gries beschäftigt.
Der Kommunikationswissen-
schaftler und Historiker leitet
den neuen interdisziplinären
Forschungsverbund „GAMe:
Geschichtsaneignungen in
der Mediengesellschaft“, bei
dem die Universitäten Jena,
Magdeburg, Leipzig und
Wien miteinander kooperie-
ren.Weitere Partner sind die
Sigmund Freud Privat UniversitätWien
und der Fernsehsender 3sat sowie die
Medienanstalt Sachsen-Anhalt.
„Geschichte hat Konjunktur“, sagt
Rainer Gries. „Die Medien formen in
hohemMaße das Geschichtsbewusst-
sein des Publikums und damit auch das
politische Bewusstsein unserer Gesell-
schaft“, macht der Forscher deutlich.
Die Kardinalfrage nach denNutzern und
ihrem Umgang mit den multimedialen
Offerten des Historischen sei jedoch
gänzlich unerforscht. Dieses
wissenschaftlicheManko sei
zugleich ein soziales und po-
litisches Problem, dem der
Forschungsverbund „GAMe“
mit interdisziplinärenMetho-
den abhelfenmöchte.
Historische Inhalte undBil-
derwerdenheute viaFernse-
hen, Internet oder Computer-
Spiele transportiert.Dashabe
längst auch Auswirkungen
etwa auf dieWissensvermitt-
lung indenSchulen.„DerGe-
schichtsunterricht ist nur noch
ein kleines Rädchen im Ge-
triebe der Geschichtsvermitt-
lung“, konstatiert Gries. Doch
gerade die junge Generationwollen die
Wissenschaftler im„GAMe“-Projekt ins
Zentrum ihrer Untersuchungen rücken.
So erhoffen sie sich, dasGeschichtsbild
vonmorgenbereitsheute indenBlick zu
bekommen. 
sl
Kontakt:
Prof.Dr.Rainer
Gries
Tel.:03641/944409
Foto:Kasper
Dr.TobiasFreimüller
(v.r.n.l.)undseine
MitstreiterKristin
TolkundMartin
Kiechle.
Kontakt:
Dr.TobiasFreimüller
Tel.:03641/944446
Foto:Kasper
SzenendesVietnamkrieges(1955-1975).WieFilmeunserGeschichtsbe-
wusstseinprägen,sollimProjekt„GAMe“erforschtwerden.
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